Führung loslassen – Die Kunst, den Staffelstab mit Würde weiterzugeben
- Barbara Burkner
- 20. Juni
- 4 Min. Lesezeit
(Teil 3 von 3 der Serie Führungskraft Werden, Sein, Loslassen)
In den ersten beiden Teilen dieser Artikelserie haben wir uns mit der Entscheidung beschäftigt, Führungskraft zu werden, und mit der Herausforderung, Führungskraft zu sein. Nun folgt der oft übersehene, aber vielleicht wichtigste Teil: das Loslassen.
Loslassen – das klingt einfach, ist aber eine der anspruchsvollsten Aufgaben einer Führungskraft. Denn es verlangt nicht nur strukturelle und organisatorische Vorbereitung, sondern vor allem eines: eine innere Haltung, die von Vertrauen, Akzeptanz, Demut und Weitblick geprägt ist.
Der Anfang kennt schon das Ende
Wenn ich Führungskraft werde, muss ich mir bereits darüber im Klaren sein, meinen eigenen Exit optimal vorzubereiten.
Dieser Gedanke mag ungewohnt klingen, ja fast paradox. Warum sich mit dem Abschied beschäftigen, bevor man richtig angefangen hat? Weil genau darin eine der größten Stärken verantwortungsvoller Führung liegt: in der Bewusstheit der eigenen Endlichkeit und Beschränktheit. Wer gleich zu Beginn akzeptiert, dass Führungsrollen nicht auf Ewigkeit angelegt sind, schafft die besten Voraussetzungen, um mit einer gesunden Haltung durch alle Phasen der Führungsverantwortung zu gehen.
Diese Haltung schützt davor, sich so sehr mit der Rolle zu identifizieren, dass man sich für unersetzlich hält oder Macht als Selbstzweck zu betrachten. Sie ist geprägt von der Demut, dass wir als Führungskraft weder allwissend noch allmächtig sind – und dass gute Führung bedeutet, Menschen auf Augenhöhe zu begleiten, nicht über ihnen zu stehen. Wir dürfen als Führungskräfte nicht darauf pochen, immer das letzte Wort haben zu müssen oder die letzte Entscheidungskraft zu besitzen. Denn, wenn wir als Leader beginnen, so zu denken, sind wir enorm weit weg davon, eine wirklich gute Führungskraft zu sein. Und dieses krampfhafte Festhalten an der eigenen Wichtigkeit macht den Ausstieg letztendlich noch schwieriger.
Führung loslassen heißt: Vertrauen kultivieren
Loslassen beginnt nicht am Ende, sondern ist Teil einer kontinuierlichen Praxis. Es bedeutet, das Team so zu befähigen, dass es auch ohne uns funktioniert – im besten Fall sogar besser. Das setzt Vertrauen voraus: in die Menschen, in ihre Fähigkeiten, in ihre Potenziale.
Es bedeutet auch, dass ich niemals davon überzeugt sein kann, dass ich der Weisheit letzter Schluss bin, dass ich ohne Hilfe und ohne Unterstützung oder Kooperation meines Teams ans Ziel komme, sondern dass ich Teil der Mannschaft bin. Einer Mannschaft, die Großartiges bewegen kann.

Eine gute Führungskraft ist wie ein Katalysator: Sie sorgt dafür, dass Prozesse in Gang kommen, dass Menschen sich entfalten können, dass Reibung in Energie und nicht in Blockade umgewandelt wird. Wenn dieser Geist die Führungszeit prägt, fällt es am Ende auch nicht schwer, loszulassen. Denn dann ist das Team nicht abhängig – sondern bereit.
Wissenstransfer: Verantwortung über das Jetzt hinaus
Loslassen hat ein zentrales Thema: Wissenstransfer. Wenn ich Führungskraft werde, bin ich davon abhängig, Wissen von meinen Mentoren, Vorbildern und/oder Vorgängern zu erhalten und darauf aufzubauen. Daher sollte es für mich selbstverständlich sein, dass ich ebenso Verantwortung dafür trage, dass mein Team, mein Nachfolger, oder diejenigen, die an der Schnittstelle nach mir stehen, so aufgestellt sind, dass mein Werk vom Team und vom Unternehmen im besten Sinne weitergeführt und weiterentwickelt werden kann.

Wer gut loslässt, bereitet also seine Nachfolge sorgfältig vor – nicht nur fachlich, sondern auch kulturell. Es geht darum, Tradition zu ermöglichen, nicht zu zementieren. Nur wenn wir bereit sind, unser Wissen weiterzugeben, kann etwas Neues auf dem Bestehenden wachsen.
Wenn ich als Führungskraft ein entspanntes, homogenes Team über alle Hierarchiestufen hinweg ermöglicht habe, dann kann Wissen besonders gut fließen. Denn dann haben die Menschen keine Angst, Fehler zu machen, sondern sind offen und trauen sich, Fragen zu stellen. Sie probieren bereitwillig Dinge aus und kommen auf mich zu mit Fragen und freuen über den Austausch, der möglicherweise konstruktiv-kritisch sein kann, aber auch lobend-befördernd. Beide Varianten dienen dem Wachstum!
Und ja: Das erfordert Offenheit. Offenheit dafür, dass die nächste Generation Dinge anders macht. Offenheit dafür, dass Veränderung nicht Verrat an der Vergangenheit ist, sondern ein Ausdruck von Entwicklung. Nur wer bereit ist, Wissen zu teilen, wird erleben, dass es sich vermehrt, nicht verliert.
Die innere Freiheit des Loslassens
Wenn Loslassen gelingt, entsteht etwas sehr Kostbares: innere Freiheit. Wer loslassen kann, braucht keine Flucht, keine Kompensation, keine Zigarre als symbolisches Trostpflaster. Stattdessen entsteht eine tiefe Zufriedenheit – mit dem eigenen Beitrag, mit der Entwicklung des Teams, mit dem, was bleibt.
Loslassen heißt nicht, sich überflüssig zu machen. Es heißt, Raum zu schaffen für Neues, ohne sich aus dem Sinn zu verabschieden. Viele erfahrene Führungskräfte kehren als Seniorexperten zurück und stehen mit Rat und Tat zur Seite – nicht als Belehrer, sondern als Begleiter, nicht aus dem Drang, sich zu beweisen, sondern aus Freude an der Entwicklung anderer. Diese „Ex-Führungskräfte“ sitzen nicht am Ende ihrer Karriere irgendwo in einer Zigarren-Lounge, sind frustriert und schimpfen.
Mit Stolz und Demut zurückblicken
Als Führungskraft ist unsere innere Haltung von Beginn an entscheidend. Das bedeutet auch, nicht einem Konkurrenzdenken zu verfallen, oder Gedanken wie „Die Jungen sind eh nicht so gut“ oder „Früher war alles besser“. Unsere Haltung sollte immer geprägt sein von Gedanken, wie: „Ich gebe euch mit, was ich mitgeben kann. Ich bin dankbar, dass ich mit euch wachsen kann und ich weiß, dass es für euch und auch für mich ein ganz wichtiges Ergebnis meiner Karriere ist, mich und euch ideal auf die nächste Phase vorzubereiten.“

Ein gelungener Führungsweg endet mit dem ehrlichen Gefühl: Ich bin Teil der Geschichte von morgen. Nicht mehr im Zentrum, aber in den Wurzeln. Das ist das Vermächtnis guter Führung: nicht Kontrolle, sondern Wirkung.
Denn wer mit dieser Haltung geführt hat, kann – wenn die Zeit gekommen ist – in aller Gelassenheit den Staffelstab übergeben, sich zurücklehnen und mit einem Lächeln zusehen, wie andere auf dem Fundament weiterbauen, das man gemeinsam geschaffen hat.
Dann ist für diejenigen, denen es auch wirklich schmeckt 😊, der Moment gekommen, in Ruhe eine Zigarre zu rauchen und ein Glas Wein zu trinken – nicht aus Kompensation, sondern aus Genuss und Zufriedenheit.

Comments